Dream Sequences

Ein Kommentar zum Dresdner Techno-Kollektiv Syndikat//Unikat vom 22. März 2013.

Frühling 1999 war es. Eine kurze Zeit in der elektronische Musik nicht mehr nur in Berlin den verwaisten Fabrik-und Lagerhallen in Stadtzentren und auf Flugplätzen Luft einhauchte. In einer unmöglichen Location in Cottbus. Um eine Uhrzeit, als die ersten Sonnenstrahlen sich erbarmungslos durch die kleinen Ritzen des alten Gemäuers hinter der Theke den Weg ins Innere erkämpften. Blake Baxter sorgte seit mehreren Stunden dafür, dass der Mainfloor in dieser großartigen Nacht von vor sich herstampfenden und um sich herum springenden Menschen erfüllt war. Musik die so laut war, dass jede Unterhaltung unmöglich war, der Druck des Basses den Brustkorb massierte. Our Luv: Keine Laser, keine bunten Lichter, nur zittriges Blitzlicht und Rauch, ein blauer Lichtstrahl der hin und wieder wild suchend die verschwitzten Körper zum Glänzen brachte. Schweißtropfen sichtbar machend, die wie Perlen von der Haut sprangen. Eigentlich wollte ich diesen Ort nur ganz kurz verlassen. Seit langer Zeit nichts getrunken. Innerlich kochend, nass geschwitzt. Nur schnell zur Bar, ein Wasser und dann schnell wieder den hämmernden Bass aufnehmen. Koordinierungsschwierigkeiten beim Fußweg von der Tanzfläche weg. Orientierung suchend im schlauchförmigen Flur, der viel zu lang erschien und einen unangenehmen Kontrast zur Anonymität der Dunkelheit bot. Auf dem Weg zur Bar war dann sie. Und an ihr kam an diesem Sonntagmorgen niemand vorbei, der sich aus dem Dunkel losreißen konnte, um sich mit Flüssigkeit zu versorgen. Anspannung in ihrem Gesicht und volle Konzentration auf ihren Mixer. Sich einerseits am Regler festkrallend und andererseits mit zärtlichem Anstupsen des Crossfaders durch ihre Fingernagelspitze dirigierend. Hin und wieder ein schneller Blick zu einem ihrer Plattenspieler, ohne den Kopf zu drehen, eine Schulter leicht mitwippend. Trotz ihres ernsten Blickes, der kein Lächeln zuließ, habe ich einem Menschen selten soviel Spaß an der eigenen Musik vom Gesicht ablesen können, wie ihr. Es war nur der Flur, zwischen Mainfloor und Bar, aber hier schaffte sie es, die Leute zu stoppen. Dafür zu sorgen, dass sie stehen blieben, den Kopf zur Seite drehend, um dann gefesselt zu werden.
Eine Handvoll Menschen, deren innere Batterien längst entladen waren, starrten gespannt auf jede ihrer Regungen, die unglaubliche Spannung aufnehmend, die ihr Sound anstaute. Wenn es im letzten Jahrtausend Minimal Techno gegeben haben sollte, dann denke ich heute, dass er für mich auf diesem Flur geboren wurde. Immer mehr Menschen drängten sich, die ihre Fäuste ballten, die Arme anwinkelten, um damit den Takt mitzunehmen, mit den Füßen unbeholfen und doch entschieden auf der Stelle tretend. Schon längst geglaubt den Höhepunkt dieses Wochenendes erlebt zu haben und lächelnd davon zehren zu können, schaffte sie es, düstere Klänge so anzustauen, dass man jede Sekunde auf die Entladung eines bisher ungekannten Glücksgefühls wartete. Doch gerade dieser Zehntelmillimeter davor war und ist die Stelle, die dass eigentlich Besondere ausmacht. Dieser Moment, der kurz vor dem ersten befreienden Jauchzen über der Tanzfläche schwebt. In der Hoffnung, dass irgendwer schreit, um auch die eigene Überwältigung endlich los werden zu können. In den Stunden dieses Morgens auf diesem Flur gab es keinen einzigen Schrei. Pure Überwältigung durch die Musik, die die lächelnden Menschen ehrfürchtig vor der Peinlichkeit der eigenen Töne erschauern ließ. Gänsehaut von der Zehenspitze über Po und Rücken, den Hinterkopf bis zur Stirn. Es war die Minimalistik selbst, der an diesem Morgen zum Durchbruch verholfen wurde. Immer mehr waren auf diesem Flur gefesselt und erlebten einen dieser Sonntagvormittage der neunziger Jahre auf einer Techno-Tanzfläche. Nicht mal Blitzlicht, nicht mal Rauch, nicht mal ein suchender, blauer Lichtstrahl, der die verschwitzen Körper zum Glänzen hätte bringen können. Nur Eva Cazal und die anderen 50, die der Flur fassen konnte und denen man an ihren Augen ablesen konnte, dass sie alle genau wussten bei etwas ganz großem und außergewöhnlichem dabei sein zu dürfen. Dankbarkeit und Freude ausstrahlend. Ich brauchte es garnicht selber sein, sondern es reichte, dass ein Freund ihren Plattenkoffer nach diesem Set in ihr Auto tragen durfte: Neben ihm den Rest dieses Sonntags verbringen zu können war Erinnerung genug. Noch Stunden später mussten wir überwältigt den Kopf schütteln, uns angrinsend, berührend, umarmend. War das wirklich echt? Heute, 14 Jahre später ist alles anders. Es ist falsch den Versuch eines Vergleichs zu unternehmen. Vielleicht erleben junge Menschen heute auf der Tanzfläche noch ähnliche Trips. Das kann ich nicht wissen und darauf kommt es nicht an. Auch heute gibt es Parties bei denen ich eine andere, aber ebenso schöne Reise erlebe. Und es gibt Party-Crews, die das Gefühl vermitteln, dass sie mit genau dem gleichen Pioniergeist unterwegs sind, wie Eva Cazal auf diesem Flur in Cottbus vor 14 Jahren. Das macht sie sympathisch. Andere Musik, andere Gesichter, andere Drogen, aber die gleiche Überzeugung der Crew das richtige zu tun und es zu machen. Es braucht keine Parole und ist doch hochpolitisch. Nach jahrelangen Durststrecken elektronischer Tanzmusik in den deutschen Clubs außerhalb von Berlin, haben sie es in Dresden (und andere in anderen Städten) geschafft, eine Atmosphäre zu etablieren, die dafür sorgt, dass man die Kopfschmerzen am Wochenbeginn kein bisschen bereut. Ich weiß dass es sich gelohnt hat und ich kann mich schon vor der Party darauf verlassen, dass es so sein wird. Eine solche Konstante in der Qualität regelmäßiger Parties kannte man nach der Jahrtausendwende nur von der Klubnacht-Reihe in der Anfangszeit des Berghain in Berlin. Zumindest für Dresden ist es gesichert, dass in Sachen Techno alles vergleichbare Lichtjahre entfernt von ihnen bleibt. Sie haben etwas in die Provinz getragen, ohne etwas anderes zu kopieren. Sich neu erfunden. Sie brauchen keine Bilder. Es reicht einfach nur Techno. Mit einer einzigen Farbe. Mit ihrem eigenen Charakter. Ein Unikat eben.

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